untangled wounds

Art Box, Klocker Museum, Hall in Tirol
05. November 2022 – 02. April 2023

Text: Lena Ganahl, Direktorin Klocker Museum
Fotos: WEST.Fotostudio

untangled wounds (Detail), 2022, Seidenmalerei auf Quilt, Seil, Steinzeugton und Acryl

„Jemandem einen Korb geben“ – allen von uns ist die Redewendung ein Begriff, und doch hinterfragen nur wenige, was es eigentlich mit diesem Korb auf sich hat, wenn es doch sinngemäß darum geht, jemanden ab- bzw. zurückzuweisen. Veronika Abigail Beringer geht in ihrer Arbeit untangled wounds, die die Künstlerin in der Art Box des Klocker Museums präsentiert, der Frage nach dem Ursprung dieser Redewendung auf den Grund und beschäftigt sich infolge mit jenen emotionalen Verletzungen, die durch eine derartige Zurückweisung entstehen.

“Am Boden liegen, sitzen und kauern, scheinbar willkürlich angeordnet, wesenhafte Gestalten aus Keramik, die beim näheren Hinsehen kleine Risse und Fehlstellen aufweisen.”


Am Boden liegen, sitzen und kauern, scheinbar willkürlich angeordnet, wesenhafte Gestalten aus Keramik, die beim näheren Hinsehen kleine Risse und Fehlstellen aufweisen. An die Wand schmiegt sich ein Quilt, auf dem das Bildnis einer Frau in einem mittelalterlich anmutenden Turm zu erkennen ist. Die Textilarbeit wird gesäumt von einem Seil, das in weiterer Folge zu einem, von der Decke hängenden Korb führt. Was auf den ersten Blick wie eine märchenhaft liebliche Geschichte wirkt, ist nichts anderes als die ins Bildliche übersetzte Redewendung „Jemandem einen Korb geben“, die ihren Ursprung in mittelalterlichen Liederhandschriften hat. Der Überlieferung zufolge war es üblich, dass der Mann, nachdem er um die Hand seiner Angebeteten angehalten hatte, in einen Korb stieg und zu ihrem Fenster gehoben wurde. Nun lag die Entscheidung bei der Frau. Handelte es sich bei dem Anwärter um ihren Auserwählten, schaffte er es bis zu ihrem Fenster. Bei allen anderen war der Boden des Korbes nur lose befestigt und die Anwärter stürzten beim Anheben des Korbs nach unten – im Mittelalter war also die Rede von „durch den Korb fallen“.

Installation View, 2022, untangled wounds, Art Box, Klocker Museum, Hall in Tirol


shrine of rejection, 2022, Seidenmalfarbe auf Seide, roter Steinzeugton und Papier, 30 x 28 x 4,5 cm


Als Betrachter:in entlockt einem diese Vorstellung im ersten Moment vielleicht ein Schmunzeln, wenngleich jede:r sich in die Lage versetzen kann und weiß, welche negativen Emotionen aufkommen, wenn man zurückgewiesen wird. Dass es Beringer auch genau um diese Ablehnung geht, wird im letzten Teil der Arbeit sichtbar.

Ausgehend von dem Podcast „The Tarot Diagnosis“, in dem die beiden Psychotherapeutinnen Shannon Knight und Luna Hammond über verschiedene Emotionen und psychologische Phänomene anhand von Tarotkarten sprechen, greift Beringer in ihrem Wandobjekt shrine of rejection die Folge zum Thema Ablehnung auf. Darin analysieren die beiden Sprecherinnen das Thema der Zurückweisung anhand der drei Tarotkarten „Die Liebenden“, „Die Welt“ (auf dem Kopf stehend) und die „Acht der Münzen“.

“Die Welt steht Kopf, wenn eine Beziehung zu einer nahestehenden Person zerbricht.”


Während die Bedeutung der „Liebenden“ mehr oder weniger durch den Titel und die Darstellung von Adam und Eva bereits klar wird, bedarf es bei den beiden anderen Darstellungen eines genaueren Blickes. „Die Welt“, die auf der mittleren Darstellung gezeigt wird, steht für Selbsterkenntnis, Ausgewogenheit, Harmonie und den glücklichen Abschluss. Auf dem Kopf stehend wird die Bedeutung in das Gegenteil umgekehrt und beschreibt deshalb Ablehnung unmittelbarer als die beiden anderen. Die Welt steht Kopf, wenn eine Beziehung zu einer nahestehenden Person zerbricht. Die rechte Seidenmalerei zeigt die „Acht der Münzen“ – eine Person, die handwerklich arbeitet. Sie steht sinnbildlich dafür, dass es Arbeit bedeutet eine zwischenmenschliche Beziehung zu erhalten und kann auch über das Scheitern einer Beziehung entscheiden oder ein Grund für die Ablehnung sein.


Installation View, 2022, untangled wounds, Art Box, Klocker Museum, Hall in Tirol


untangled wounds (Detail), 2022, Art Box, Klocker Museum, Hall in Tirol

Das Bedürfnis nach sozialen Bindungen ist eine elementare menschliche Eigenschaft. Der Mensch ist ein soziales Wesen und in einer Gruppe von anderen Menschen akzeptiert zu werden ein Grundbedürfnis. Soziale Zurückweisung schmerzt, evoziert oftmals negative Emotionen und ist eng mit psychischer Belastung oder Feindseligkeit verbunden. Aus einer Gruppe ausgeschlossen und von ihr abgelehnt zu werden kam früher einem Urteil über Leben und Tod gleich. Es steckt viel Wahrheit dahinter, wenn man von beispielsweise „Trennungsschmerz“ spricht. Studien zeigen, dass im Fall einer Ablehnung die gleichen Teile im Gehirn reagieren, die auch für das Schmerzempfinden zuständig sind. Dementsprechend ist es so, dass negative Emotionen tatsächlich schmerzen können. Unweigerlich generiert Zurückweisung auch ein Machtverhältnis. Eine Person ist in der Lage eine andere (schwächere) Person zurückzuweisen und über ihre Entscheidung das Leben des Gegenübers einschneidend zu verändern. Mit entsprechenden Situationen werden wir alle in unserem Leben konfrontiert, sei es das Ende einer Beziehung, die Absage nach einem Bewerbungsgespräch oder die Zurückweisung eines Wettbewerbsbeitrags. Auch wenn emotionale Bindung und damit die Intensität der Emotion variieren, ist das Grundgefühl der Ablehnung dasselbe.

“Unweigerlich generiert Zurückweisung auch ein Machtverhältnis. Eine Person ist in der Lage eine andere (schwächere) Person zurückzuweisen und über ihre Entscheidung das Leben des Gegenübers einschneidend zu verändern.”

Die Aktualität des Themas sieht Veronika Abigail Beringer auch in den vielen Femiziden, die wir in Österreich seit einigen Jahren zählen. Meistens handelt es sich dabei um Gewaltdelikte von zurückgewiesenen Ex-Partnern. Damit stößt die Künstlerin die Frage an, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang mit Ablehnung gibt. Sie gibt damit lediglich einen Denkanstoß, den jede:r Besucher:in am Ende für sich selbst ergründen kann.


Die eigene Arbeitsweise zu hinterfragen bildet meistens die Grundlage für die Arbeiten von Veronika Abigail Beringer. Dabei greift sie auf einzelne Aspekte und Elemente ihrer früheren Werke zurück und setzt diese in den Fokus der neuen Arbeit. Körbe und Netze, die in Beringers Arbeiten immer wieder auftauchen, waren der Denkanstoß für die Beschäftigung mit der Redewendung „Jemandem einen Korb geben“, die letzten Endes zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema der Ablehnung führte. Es wird sich noch zeigen, ob dieses Thema auch in zukünftigen Arbeiten noch einmal aufgegriffen wird.